Für das kommende Schuljahr 2012/13 wurden an die auswärtigen Gesamtschulen in Gütersloh und Herzebrock-Clarholz 127 Schüler und Schülerinnen aus Rheda-Wiedenbrück angemeldet, davon wurden 53 abgelehnt.
Diese hohen Anmeldezahlen belegen eindringlich den Wunsch vieler Eltern unserer Doppelstadt, den Bildungsweg ihrer Kinder durch ein gemeinsames Lernen lange offen zu halten.
Darüber hinaus ist mit diesen Anmeldezahlen formal eine wichtige Vorgabe für die Errichtung einer Gesamtschule in Rheda-Wiedenbrück schon längst übererfüllt. Denn wesentlich mehr als die hierfür erforderlichen 100 Kinder wurden an einer Gesamtschule angemeldet.
Warum haben wir sie also noch nicht?
Die einfachste Antwort darauf ist sicherlich: Der Elternwille ist nicht das einzige Entscheidungskriterium für die Errichtung einer Gesamtschule. Genauso wichtig sind eine entsprechende Schulentwicklungsplanung und der politische Wille aller Beteiligten, eine Gesamtschule einrichten zu wollen.
Da die Zahl der Kinder ja bekanntlich nicht steigt, sondern eher zurückgeht, kann die Errichtung einer neuen Schulform keine zusätzliche Neugründung sein. Vielmehr greifen wir mit der Errichtung einer neuen Schulform in ein bestehendes Schulsystem ein, das hier im Ort im Wesentlichen dreigliedrig ist: zwei Hauptschulen, zwei Realschulen und zwei Gymnasien.
Das von der Stadt in Auftrag gegebene Gutachten zur Schulentwicklungsplanung warnt nachdrücklich davor, dass eine Gesamtschule sich nachteilig auf die Entwicklung der Gymnasien auswirken könne. Diese Annahme ist durch nichts belegt. Schon ein Blick nach Gütersloh zeigt, dass die dortigen Gesamtschulen keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gymnasien haben. Ganz im Gegenteil: Sowohl die Gesamtschulen als auch die Gymnasien können nicht alle Kinder aufnehmen, die angemeldet wurden. Ein Blick auf die aktuellen Schulanmeldungen unserer Doppelstadt widerlegt diese Befürchtung des Gutachters endgültig. Die Anmeldezahlen an das Einsteingymnasium sind trotz der Konkurrenz einer neuen Gesamtschule in unmittelbarer Nachbarschaft nicht gesunken, sondern gestiegen.
Der Anteil der Schüler und Schülerinnen, die mit einer Gymnasialempfehlung an eine Gesamtschule angemeldet werden, liegt in der Regel bei 10 15 %, wenn die Eltern die Alternative eines Gymnasiums in unmittelbarer Nähe haben. Der größte Teil der Schüler und Schülerinnen einer Gesamtschule hat eine Haupt- oder Realschulempfehlung und genau hier liegen die Vorteile dieser Schulform gegenüber ihrer kleinen Schwester, der Sekundarschule.
Durch das zusätzliche Angebot des Abiturs an einer Gesamtschule kann die Abiturquote Rheda-Wiedenbrücks insgesamt erhöht werden. Die ist bei uns nämlich ziemlich schlecht. Sie liegt mit 27,1 % deutlich unter dem Landesdurchschnitt, selbst im Regierungsbezirk Detmold sind wir das Schlusslicht.
Es nützt uns gar nichts, wenn an der ORS fast 70% eines Jahrgangs die Schule mit einer Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe verlassen, von denen dann aber nur ein Teil diese Chance tatsächlich nutzt. Selbstverständlich muss und kann nicht jeder Schüler zum Abitur geführt werden, aber die Option auf einen hohen Bildungsabschluss sollte möglichst lange offen bleiben.
Der zweite Vorteil der Gesamtschule im Vergleich zu einer Sekundarschule liegt darin, dass die Sekundarstufen I und II aus einem Guss, an einer Schule sind. Es sind keine aufwändigen, zusätzlichen Förder- und Aufbaukurse nötig, wie beim Übergang von Sekundar-, Haupt- und Realschule an die Oberstufe eines Gymnasiums.
Darüber hinaus besteht für die Schüler und Schülerinnen neben der Abituroption G8 am Gymnasium auch die Abituroption G9.
Ein großes Problem unserer Gemeinde ist die Abwanderung von mehr als 10% eines Jahrgangs nach Gütersloh und demnächst Herzebrock. Die Zahlen liegen nur deswegen nicht höher, weil die auswärtigen Gesamtschulen nicht mehr Schüler und Schülerinnen aus unserer Doppelstadt aufnehmen. Die Gestaltungsmöglichkeiten für unsere Schullandschaft müssen hier in unserer Gemeinde bleiben und nicht nach Gütersloh und Herzebrock-Clarholz abgegeben werden. Unser Ziel muss es sein, dass unsere Schüler und Schülerinnen hier in Rheda-Wiedenbrück bleiben. Nicht die Sekundarschule, die bekanntlich nach der 10. Klasse endet, sondern nur die Gesamtschule als Langzeitschulform bietet eine wirklich Alternative für diejenigen Eltern, die ihre Kinder bisher in Gütersloh anmeldeten.
In den letzten Wochen ist die Errichtung einer Gesamtschule vor allem deswegen in die Kritik gerückt, weil eine Haupt- und eine Realschule auslaufen müssten. Es wurde dabei immer wieder auf die hervorragende Arbeit der bestehenden Haupt- und Realschulen verwiesen und betont, dass davon so viel wie möglich in die neu einzurichtende Schulform übernommen werden müsse. Die intensive Berufswahlvorbereitung, der bilinguale Zweig, die Mint-Projekte, die Schwerpunktklassen, der gebundene Ganztag und vieles andere sind wirklich ganz hervorragend. Ein Blick über den Tellerrand zeigt allerdings, dass diese Errungenschaften in keiner Weise an eine Schulform gebunden sind, vielmehr werden sie in den Gesamtschulen der Umgebung genauso gut angeboten. Die Frage, ob wir diese Errungenschaften auch in einer neu zu errichtenden Schule fortführen können, ist in keiner Weise von der Schulform abhängig, sondern vielmehr davon ob alle Beteiligten, nämlich Schulleitung, Lehrer, Eltern und Schüler sie fortführen möchten.
Beim Lob für unser dreigliedriges Schulsystem wird leider völlig außer Acht gelassen, dass es sozial selektiv ist und keine Lösung für den inklusiven Unterricht bietet.
Zunächst möchte ich den ersten Punkt an einem Beispiel näher ausführen. Auf unsere weiterführenden Schulen gehen ca. 4100 Kinder und Jugendliche. Davon sind 346 ausländische Staatsbürger und Kinder von Spätaussiedlern.
Wenn wir nun deren Verteilung auf die einzelnen Schulformen genauer betrachten, dann ergibt sich folgendes Bild:
15,3% dieser Schüler und Schülerinnen mit einem Migrationshintergrund besuchen die Gymnasien, 19,6% unsere Realschulen und 65% die Hauptschulen. Ein wichtiges Ziel unserer Arbeit hier vor Ort muss es sein, die Bildungschancen dieser Kinder und Jugendlichen zu verbessern. Dafür bietet eine Gesamtschule die besten Möglichkeiten. Denn sie lässt ihren Schülern und Schülerinnen Zeit für Entwicklung, fördert sie individuell im Fachunterricht, verfügt über viele Angebote für unterschiedliche Begabungen und erzieht konsequent zu gegenseitiger Wertschätzung und respektvollem Umgang miteinander. (Vgl. Homepage der JKG, Erklärungen der Eltern, warum sie ihre Kinder dort anmelden)
Seit vielen Jahren bietet die Brüder-Grimm-Schule in Wiedenbrück erfolgreich den Gemeinsamen Unterricht für behinderte und nicht-behinderte Kinder an. Ab dem kommenden Schuljahr wird die Johannisschule für den Stadtteil Rheda ein ähnliches Angebot schaffen. Dieses überaus sinnvolle und wünschenswerte Angebot an den Grundschulen endet mit den vierten Klassen. Keine weiterführende Schule hier vor Ort bietet den gemeinsamen Unterricht an. An den Gesamtschulen gehörte in den letzten Jahren die gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht-behinderten im Rahmen des integrativen Unterrichts selbstverständlich zum Konzept des gemeinsamen Lernens. Dieser Ansatz wird an den Gesamtschulen derzeit überprüft und zum inklusiven Unterricht weiter entwickelt. Inklusion ist für diese Schulform ein Grundprinzip
Diese inklusive Erziehung tritt ein für das Recht aller Schüler und Schülerinnen, unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen sowie von ihrer ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft miteinander und voneinander zu lernen. Kein Kind soll ausgesondert werden, weil es den Anforderungen der Schule nicht entsprechen kann.
Wenn ich einen Zeitsprung von 5 Jahren machen könnte, würde ich gerne die folgende Schullandschaft in unserer Doppelstadt sehen: zwei gut funktionierende Gymnasien, eine fünf- bis sechszügige Gesamtschule in einem Ortsteil, eine Haupt- und eine Realschule oder eine Sekundarschule im anderen Ortsteil.