Kämpfer für Demokratie

Presseartikel aus der Neuen Westfälischen vom 22.Juni 2013
Umzug mit Hakenkreuz: Am 1. Mai 1933 marschierten die Honorationen der Stadt auf der Wilhelmstraße.

Rheda-Wiedenbrück. Die Frage, was in Rheda während des Nationalsozialismus’ passiert ist, beschäftigt Jochen Sänger seit Jahrzehnten. Ihn interessieren die Verbrechen an Juden, er forscht aber auch über die Arbeiterbewegung. Die durchlebte nach der Machtergreifung Adolf Hitlers schwere Zeiten. Dazu gehörte das Verbot der SPD am 22. Juni 1933 – heute vor 80 Jahren.

Die Partei war von NS-Reichsinnenminister Wilhelm Frick zur staats- und volksfeindlichen Partei erklärt worden. Die SPD schrecke nicht vor hoch- und landesverräterischen Unternehmungen gegen Deutschland zurück, so die Nationalsozialisten. Dem Verbot waren andere Vorschriften vorausgegangen, „mit denen Hitler versuchte, seine politischen Gegner mundtot zu machen“, schreibt Sänger in seinem Buch „Die Arbeiterbewegung in Rheda und Wiedenbrück“.

Neben 60 Briefen, deren Handschriften Sänger mühsam „übersetzte“, hat er Protokolle, Dokumente und Akten gelesen – bis zu drei Stunden jeden Tag. „Die Papiere füllen weit über 70 Ordner.“ Darin finden sich viele Namen. Die der Opfer hat Sänger, selbst seit 1967 Sozialdemokrat, stets genannt, die der Täter nicht immer – aus Angst vor Klagen. „Doch jetzt ist alles so lange her, dass nichts mehr passieren kann“, gesteht der 66-Jährige zudem, heute nicht mehr eingeschüchtert zu sein. Viel wichtiger ist es ihm aber auch heute, zu zeigen, wie Sozialdemokraten ehrenamtlich für die Allgemeinheit gearbeitet haben. „Heute ist viel des Erreichten zur Selbstverständlichkeit geworden“, meint Sänger.

Er beschreibt die Bedingungen, unter denen die SPD in Rheda unter Hitler tätig war. Anfang Februar 1933 verboten die Nazis politische Versammlungen und Aufzüge der Arbeiterparteien. Untersagt wurde eine öffentliche SPD-Veranstaltung am Vorabend der Reichstagswahl am 5. März 1933. Ein Fackelzug der NSDAP wurde genehmigt. Er endete vor dem Parteilokal Neuhaus auf dem Doktorplatz, wo eine Rede Hitlers über Lautsprecher übertragen wurde.

„Die bewussten Wahlbehinderungen, aber auch die permanente Stimmungsmache gegen die Sozialdemokratie wirkten sich aus“, so Sänger. Die SPD verlor vier Mandate, hatte noch zwei Vertreter in der Stadtverordnetenversammlung – und das nur kurz. Am 24. März verfügte der NS-Innenminister, dass alle sozialistischen Gemeinderäte zu beurlauben seien.

Auch gegen einzelne Parteimitglieder gingen die Nazis vor. Ende März war Heinrich Karreh, SPD-Mitglied des Kreistages, „wegen wiederholter schwerer Beleidigungen Hitlers“ verhaftet worden. Über das Gerichtsverfahren hat bislang Sänger keine Unterlagen gefunden. Angehörige erzählten ihm aber später, dass Karreh mehrfach wegen seines Parteibuches eingesessen habe.

Heinrich Stork war Funktionär des Reichsbanners – ein überparteiliches, von der SPD dominiertes Bündnis zum Schutz der Republik. Nazis und Ortspolizei durchsuchten im Mai 1933 mehrmals seine Wohnung. Vorgewarnt, hatte Stork wichtiges Material in Sicherheit gebracht. Als seine Überwachung zunahm, musste er Unterlagen vernichten. Gerettet hat er eine Fahne des Reichsbanners, die er Sänger 1972 schenkte. Der überreichte sie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Hausdurchsuchungen gab es bei allen bekannten Sozialdemokraten. In deren Vereinslokal „Stadtbrunnen“ bei Hermann Wolkenstein beschlagnahmten Polizisten sämtliches SPD-Material. Bücher und Akten, die auch bei August Eickolt und Heinrich Heineke – der später letzter Bürgermeister von Rheda wurde – im Mai gefunden wurden, verbrannten die Nazis auf dem Rathausplatz.

Ende Juni wurden die Stadträte Eickholt und Wolkenstein schriftlich vom Regierungspräsidenten aufgefordert, nicht mehr an Ratssitzungen teilzunehmen. „Bei Nichtbeachtung drohte die sofortige Verhaftung“, schreibt Sänger. Das war das Aus für die SPD in öffentlichen Ämtern.

Doch die Sozialdemokraten trafen sich weiterhin, „um die politische Lage zu analysieren und Untaten der Nationalsozialisten zu diskutieren“. Treffpunkte waren Wohnungen oder unbeobachtete Gartenhäuschen. Trotzdem drohten den Aktiven Verhaftungen. Eickholt oder Heineke entgingen ihnen nur, „weil sich ihre Arbeitgeber aufgrund ihrer fachlichen Leistungen für sie einsetzten“, so Sänger.

Anfang 1944 wurden Mitglieder der heimischen Arbeiterbewegung zum Militärdienst eingezogen. Im Frühjahr 1945 kehrte Heineke zurück. „Er schloss sich sofort den in Rheda verbliebenen Sozialdemokraten an, die bestrebt waren, den Ortsverein neu zu gründen.“

Sänger will dokumentieren, was einmal war. Die Lehre aus der Geschichte sei: „Man muss für eigene Ideen werben und sie vorleben, dabei gegenüber antidemokratischen Tendenzen stets aufmerksam sein.“