

VON WILHELM DICK
Rheda-Wiedenbrück. Fünf Nominierungen hatte es gegeben für den Dr.-Lüning-Preis, den die heimischen Sozialdemokraten jetzt erstmals aus Anlass des 150. Gründungstages der SPD ausgelobt hatten. Alle Fünf verdienen sie unsere hohe Anerkennung, lüftete Brigitte Frisch-Linnhoff, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Rheda-Wiedenbrück, jetzt in einer Feierstunde im Luise-Hensel-Saal das Geheimnis der Wahl. Aber mit Hugo Heinemann, der vom Vorstand mit überwältigender Mehrheit gekürt wurde, hat es den Würdigsten getroffen.
Höre nicht auf zu mahnen, wir wünschen Dir, dass Du das noch lange Jahre kannst, rief Thorsten Klute dem sichtlich gerührten Preisträger zu. Dass gerade Versmolds Bürgermeister die Laudatio hielt, hatte tieferen Bezug zu eben jenem Mahnen Hugo Heinemanns.
Weil Klutes Frau aus einem kleinen Dorf nahe des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz stammt, war der Laudator sehr häufig an einer der weltweit bekanntesten Stätten der Nazi-Gräuel gegen die jüdischen Mitbürger gewesen.
Immer wieder hatte es Klute, so berichtete er, in der Gedenkstätte die Tränen in die Augen getrieben, wenn er vor der Vitrine mit den Kinderhaaren stand und er sich das Schicksal der Millionen Juden vergegenwärtigte, die ihr Leben in den Gaskammern oder den Arbeitslagern ließen, wo sie sich zu Tode schuften mussten.
Gräuel, die Hugo Heinemann am eigenen Leibe erfahren musste, als der heute 89-Jährige 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Dort war er zur Zwangsarbeit im Lager Monowitz verurteilt worden, wo in einem Werk der IG Farben über 10.000 Zwangsarbeiter ihr Leben ließen. Heinemann überstand die Qualen, bis zu jenen Tagen kurz vor der Befreiung des Lagers durch die Sowjetarmee am 27. Januar 1945. Auch den so genannten Todes-Marsch, auf den die Nazis die Zwangsarbeiter bei der Verlegung des Lagers nach Westen schickten, hatte Hugo Heinemann überlebt.
Nahezu 60 Jahre hatte der erste Preisträger des Dr.-Lüning-Preises geschwiegen, bis er sich schließlich entschloss, von seinem schicksalhaften Leben zu erzählen. Zunächst noch unter Pseudonym. Doch die Angst, weiterhin stigmatisiert sein zu können, hat Heinemann schnell abgelegt.
In regelmäßigen Abständen besucht er seitdem Schulen, um in den nachwachsenden Generationen die Erinnerung an die Gräuel der Nazi-Zeit wach zu halten und zu mahnen, dass sich so etwas nie wiederholen dürfe.
Unsere Gesellschaft braucht Menschen wie Dich, zog Laudator Klute ein Fazit, dem der lang anhaltende Beifall der Festgesellschaft Nachdruck verlieh.
Wie sehr Hugo Heinemann sich dieser Gesellschaft verbunden fühlt, zeigte eine spontane Geste des Preisträgers. Ich habe vor wenigen Tagen gelesen, dass Sie jeden Cent gebrauchen können, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, wandte er sich an die Vertreterinnen der Aktion Essen für Dich und händigte ihnen den Scheck über 500 Euro aus, der mit der Preisvergabe verbunden war.
Die Aktion des Jugendhauses St. Aegidius, die von Ehrenamtlichen getragen wird, hatte ebenso zu den Nominierten gezählt wie das Team des Pferde-Schutz-Hofes Four Seasons oder die Flüchtlingsberaterin der Diakonie, Marita Sieben, und Leonie Mustaka, die seit vielen Jahren Migranten unterstützt und eine tragende Säule des jährlichen Ausländer-Festes ist.
Mit dem neu geschaffenen Lüning-Preis, der in noch nicht fest gelegten Abständen ausgelobt werden soll, würdigen die heimischen Sozialdemokraten bürgerschaftliches Engagement und Zivilcourage, wie Frisch-Linnhoff erklärte: Wir wollen auf diese Weise dazu beitragen, aus Rheda-Wiedenbrück eine gewaltfreie, tolerante und weltoffenen Stadt zu machen.
Festredner war der SPD-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Hans Feuß gewesen, der über die Funktion von Vorbildern in unserer Zeit sprach. Den musikalischen Rahmen gab der Preisverleihung das junge Querflöten-Ensemble Flautabile.
© 2013 Neue Westfälische