

Rheda-Wiedenbrück. Für Guntram Schneider steht es „außer Zweifel, dass das System der Werkverträge oft missbraucht wird, um Dumpinglöhne zu erzielen“. Bei einer Podiumsdiskussion, die der SPD-Stadtverband zum Thema „Arbeitsbedingungen in der Lebensmittelindustrie“ veranstaltete, zeigte sich NRWs Arbeits- und Sozialminister davon überzeugt, dass „die Koalition in Berlin die Werkvertrags-Arbeit reformieren“ werde.
Besonders verbreitet sind Werkverträge in der Fleischindustrie. Und die stand an diesem Abend im Fokus. Für Josef Tillmann, Geschäftsführer im heimischen Unternehmen Tönnies, sind Werkverträge unerlässlich. Seit 1991 setze das stetig wachsende Unternehmen bereits auf dieses System: „Ohne gäbe es Tönnies in dieser Form heute nicht“.
Rein rechtlich sei das Unternehmen Tönnies nicht für Entlohnung und Unterbringung der Osteuropäer verantwortlich, man wirke jedoch auf die Subunternehmer ein, „angemessene und sozial verträgliche Bedingungen einzuhalten“, so Tillmann.
„Auch der Profit des Unternehmens Tönnies beruht nicht auf dem Werkvertrags-System“, wies er entsprechende Mutmaßungen zurück. „Deshalb hätten wir auch kein Problem mit einer Neuregelung“. Auch mit einem flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro, so er denn käme, hätte Tönnies „keine Probleme“, so Tillmann. Mit den Subunternehmen seien Stücklöhne vereinbart, was die dann an ihre Beschäftigten zahlen, sei „etwa vergleichbar mit brutto 8,50“.
Über Unregelmäßigkeiten bei der Entlohnung von Werkvertrags-Arbeitern, insbesondere über dubiose Abschläge und unklare Einbehaltungen von Teilbeträgen, berichtete dagegen Armin Wiese von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Das sorgte für den ersten Eklat des Abends. Ein rumänischer Subunternehmer attackierte den Gewerkschafter heftig und warf ihm Falschaussagen vor, „die unser Steuerberater jederzeit widerlegen kann“. Dass Letzterer erst gar nicht zu Wort kam, lag an der entschlossenen Intervention des Moderators Ingo Brüggenjürgen: Er mahnte die Kontrahenten, ihren Konflikt „bilateral an anderer Stelle zu lösen“. Darauf stürmten die Rumänen, sichtlich vor Wut kochend, aus dem Saal.
Auch einen zweiten Eklat erstickte Brüggenjürgen im Keim, als ein anderer osteuropäischer Subunternehmer „diese junge Frau da“ verbal attackierte, die er in scharfem Ton eine „Lügnerin“ nannte. Gemeint war Inge Bultschnieder, Initiatorin der neuen „Initiative zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Werkvertrags-Arbeitern“. Sie hatte erneut von ihren leidigen Erfahrungen mit dem Thema berichtet. Für Schneider bestand kein Grund, an Bultschnieders Worten zu zweifeln. Er nannte ihr Engagement „gesellschaftspolitisch vorbildlich“.
Ab 1. Januar 2014 könnte sich viel ändern im Werkvertrags-System, hob der Minister auf die Arbeitnehmer-Freizügigkeit ab, die dann auch für Rumänien und Bulgarien in der EU gelte. „Dann könnten Sie die von Ihnen benötigten Osteuropäer doch direkt und zu deutschen Bedingungen einstellen“, schlug er Tillmann vor. 90 Prozent der Osteuropäer wollten das doch gar nicht, so dessen Erfahrung: „Die wollen in zwei Jahren hier viel Geld verdienen und dann wieder heim“. So habe man einmal 300 Polen eine Festanstellung bei Tönnies angeboten, „ganz 15 schlugen ein“.
„Ziehen Sie sich nicht länger unter Hinweis auf die Werkverträge aus der Verantwortung“, mahnte SPD-Fraktionschef Dirk Kursim den heimischen Fleischgiganten, „machen Sie Ihre Strukturen öffentlich, machen Sie nicht weiter eine Geheimfabrik“. Bei 20.000 Besuchern, die jährlich das Unternehmen besichtigen, könne von einer Geheimfabrik wohl keine Rede sein, konterte Tillmann. Auch aus der Verantwortung zöge sich das Unternehmen nicht. Von schlechter Unterbringung oder Bezahlung sei ihm persönlich allerdings nichts bekannt. Allerdings könne es „immer mal zu Unregelmäßigkeiten im System“ kommen.
Wen ansprechen, wenn man von schlechter Unterbringung, Angst vor einer Krankmeldung oder ausbleibendem Lohn erfahre, hakte Brigitte Frisch-Linnhoff (SPD) nach. „Sprechen Sie mich gern persönlich an und nennen Sie mir Ross und Reiter“, reagierte Tillmann auf die im Hause Tönnies übliche Weise, „und ich werde das persönlich abstellen“. Ohne konkrete Namen gehe das allerdings nicht.
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07 – Gütersloh, Samstag 23. November 2013