Wiedenbrücker Frauen im Blick

VON WALTRAUD LESKOVSEK

Rheda-Wiedenbrück. Zu einer besonderen Stadtführung speziell für Frauen hatte die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) eingeladen. Kunsthistorikerin Christiane Hoffmann lenkte den Blick dabei ganz bewusst auf die Geschichte der Frauen in Wiedenbrück vor 300 bis 400 Jahren.

Mit Prosecco begrüßte Hofmann die circa 20 Teilnehmerinnen in ihrer Galerie an der Langen Straße, die sich in einem denkmalgeschützten Haus aus dem Jahre 1591 befindet. Das ehemalige Haus Weidekämper war zuvor lange Jahre das Wiedenbrücker Heimatmuseum.

Dort begann Hoffmann auch die Führung, denn was die damals fast überall übliche Teilung der Haustüren so wirklich bedeutete, wussten die meisten Frauen nicht. Gemütlich lehnte sich Hoffmann auf den unteren geschlossenen Flügel der Tür und plauderte mit den interessierten Damen.

"Als gute Hausfrau hatte man damals viel zu tun. Zeit zum Plaudern nahm man sich nur kurz", erklärte Hoffmann. Deshalb blieb die untere Tür meist geschlossen, damit man mit der vorbeigehenden Nachbarin ein paar Worte plaudern konnte, ihr aber damit auch zu verstehen gab, dass es keine Einladung zum Kaffee war. Dann wurde weiter gearbeitet.

"Eine weit geöffnete Tür hätte seinerzeit immer gleich einer Einladung gleichgetan und dafür hätten sich die Frauen keine Zeit genommen."

Sie hatten vor einigen hundert Jahren in der Familie nämlich die "Hosen" an. Frauen haben bestimmt wie es im und am Haus auszusehen hat und wer welche Aufgabe übernimmt, erklärte die Stadtführerin.

Auch wenn sie im öffentlichen Leben nicht viel Mitspracherecht hatten, nicht wählen durften und auch in Sachen Politik kein Mitspracherecht hatten, beherrschten sie die Familie. Das wird an einigen Fachwerkhäusern anhand der Schnitzereien sehr deutlich, erklärte Hoffmann.

An der Rückseite des Haues Lange Straße 50, in dem sich die Galerie befindet, sind verschiedene Figuren abgebildet. Die eine Ecke des Giebels trägt die Frau. Sie wirkt mit ihren verschränkten Armen entschlossen und zugeknöpft aber auch korrekt. Auf der anderen Ecke ist der Mann als Ratsherr abgebildet.

Das soll verdeutlichen, dass hier alles in Ordnung ist, dass man sein Auskommen hat und am öffentlichen Geschehen teilnimmt. Andere Figuren am Giebel sollen das Böse abwenden. Da ist beispielsweise eine schwangere Frau abgebildet, als Zeichen der Abwehr vor ungewollter Schwangerschaft oder Hurerei.

Am rückwärtigen Teil des Ratskellers zum Marktlatz hin sind ebenfalls solche Bilder angebracht, die erst bei genauem Betrachten ins Auge fallen. Da greift ein betrunkener Gast einer jungen Frau unter den Rock. "Hier soll davor gewarnt werden, zu viel Alkohol zu trinken und dabei zu vergessen was sich gehört", erläuterte Hoffmann diese Szene. Es sei seinerzeit sogar ein wenig wie ein Wettbewerb gewesen, wie der Giebel gestaltet wird. Je aussagekräftiger die Bilder sind, desto mehr konnte man über den Stand der Familie erfahren, zumindest äußerlich.

Auch die Sprüche sind häufig kurios. Da wurden Sätze abgekürzt, weil sie nicht komplett auf die Fassade passten. Manchmal wurden auch Buchstaben weggelassen oder einfach mal ein Stück näher zusammengerückt. "Das war reine Handarbeit, ohne technischen Aufwand und die meisten Handwerker waren Analphabeten und konnten nicht mal lesen, was sie in das Holz schnitzten", sagte Hoffmann zur Überraschung der Gäste.

Deshalb seien auch häufig spiegelverkehrte Buchstaben zu finden. Anschließend zeigte sie noch am Bronzemodell der Stadt vor dem historischen Rathaus, wo sich die Waschplätze der Frauen befanden. Sie trafen sich an den Toren der Stadt, direkt an der Ems. Das waren geheime Orte, denn dort trauten sich in der Regel keine Männer hin. Dort tauschten sich die Frauen aus und lernten voneinander.

Die Teilnehmerinnen der ungewöhnlichen Stadtführung waren begeistert und freuen sich auf eine Fortsetzung. Die soll es nämlich geben, wobei es dann um die blutige Geschichte der Hexen in Wiedenbrück gehen soll.

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07 – Gütersloh, Samstag 19. Juli 2014