„Das soziale Gewissen schärfen“

Verleihung des Dr.-Lüning-Preises an die "IG Werkfairverträge": Die Auszeichnung haben Inge Bultschnieder (v.l.) und Almuth Stork von Brigitte Frisch-Linnhoff (Vorsitzende des SPD-Ortsvereins) entgegen genommen. Foto: M Pokorra-Brockschmidt

Rheda-Wiedenbrück. Mit der Verleihung des Dr.-Lüning-Preises erweise der SPD-Ortsverein Menschen die Ehre, "die ein besonders engagiertes und zivilcouragiertes Verhalten in der Öffentlichkeit zeigen", so Vorsitzende Brigitte Frisch-Linhoff. Nominiert waren vier Gruppen für die Auszeichnung. Erhalten hat sie – so das einstimmige Votum des SPD-Vorstandes – die "Interessengemeinschaft Werkfairträge" (IG), die sich für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen von Werkvertragarbeitnehmern einsetzt.

Mit Demonstrationen, Informationsveranstaltungen und Aktionen mache die IG seit zwei Jahren auf die Missstände aufmerksam. "Sie schärft das soziale Gewissen der Leute", sagte Hans Feuß, SPD-Mitglied des NRW-Landtages, in seiner Laudatio. Die IG sei es gewesen, die entscheidend zur Gründung des Runden Tisches beigetragen habe. Dessen Mitglieder tagen im Oktober zum vierten Mal, um die Lebensbedingungen der Werkvertragarbeitnehmer und ihrer Familien in Rheda-Wiedenbrück zu verbessern.

Initiiert hatte die "IG Werkfairträge" Inge Bultschnieder. Sie lernte im September 2012 im Krankenhaus eine Bulgarin kennen, die von einer Werkvertragsfirma im Fleischwerk Tönnies eingesetzt war. Betroffen von deren Schilderungen über "untragbare Zustände, bietet sie mit ihren Mitstreitern den Betroffenen seither Beratungs- und Unterstützungsangebote, kämpft, um deren Lebensbedingungen zu verbessern", so Feuß.

Die IG sei auf einem sehr erfolgreichen Weg, der aber noch lang sei. "Letztlich geht es darum, nicht nur für die Probleme der Werkvertragarbeitnehmer Lösungen zu finden, sondern mit ihnen", so der SPD-Politiker. Als Bultschnieder die IG gegründet habe, wollte sie den Werkvertragarbeitnehmern und ihren Familien eine Lobby geben. "Und die haben in der IG eine saugute gefunden", sagte Feuß. Damit kämen sie dem Motto des Namensgebers des Preises für engagiertes Bürgerverhalten und Zivilcourage nach. Der Rhedaer Armenarzt und Sozialdemokrat Dr. Otto Lüning hatte gesagt: "Ihr sollt nicht träumen, ihr sollt handeln."

Zuvor hatte Elvan Korkmaz, stellvertretende Landrätin, über "Chancen und Probleme von Arbeitsmigration" gesprochen. Die sei der Idee eines gemeinsamen Europas zu verdanken, die Grenzenlosigkeit beinhalte. "Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, um unseren Lebensstandard zu halten", so Korkmaz. Dabei gelte es, den Grundsatz "Gute Arbeit für gutes Geld" zu wahren.

Als Vertreterinnen der "IG Werkfairträge" nahmen Bultschnieder und Almuth Stork die mit 500 Euro dotierte Auszeichnung entgegen. Die Ärztin sagte, dass sie schon lange die Idee gehabt habe, etwas für die Werkvertragarbeitnehmer zu tun. "Es fehlte aber der letzte Kick, Inge Bultschnieder hat uns mit ihrem Mut und Engagement mitgenommen", sagte Stork. Die IG kämpfe jedoch nicht nur für die Werkarbeitnehmer. "Wir wollen auch nicht, dass sich das Billiglohnsystem in unserer Gesellschaft einschleicht und unsere Kinder irgendwann von ihrer Arbeit nicht leben können, sondern Sozialaufstocker werden."

Bultschnieder dankte vielen Mitstreitern, die Spenden gesammelt haben, die Wohnungseinrichtungen für Werkvertragarbeitnehmer organisiert haben, die gute Ideen und Kritik beigesteuert hätten. Zum Erhalt des Preises habe "jeder beigetragen, der mit uns auf die Straße gegangen ist und damit sehr deutlich gemacht hat, dass er mit den hier herrschenden Bedingungen nicht einverstanden ist". Davor müsse niemand Angst haben und sie hofft, dass auch die Werkvertragarbeitnehmer irgendwann stark genug sind, selbst auf die Straße zu gehen.

Es gebe eine Parallele zwischen Lüning und Stork, meinte Bultschnieder. Was der Armenarzt in der Vergangenheit getan habe, das praktiziere die Medizinerin heute: "Sie nimmt die Leute so wie sie kommen und tut das Notwendige."

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Drei weitere Nominierte

Für die Verleihung des zweiten Dr.-Lüning-Preises waren beim SPD-Vorstand drei weitere Gruppen nominiert worden.

Vorgeschlagen worden war der St. Viter Verein "Laufen und Gutes tun", der zum zehnten Mal einen Benefizlauf zu Gunsten der Deutschen Knochenmarkspenderdatei und der Palliativpflege in Bethel veranstaltet hatte.

Nominiert war auch Marita Sieben, Flüchtlingsberaterin der Diakonie. Sie engagiere sich seit mehr als zehn Jahren "über das normale Maß hinaus, um das Leid anderer zu überwinden", sagte Brigitte Frisch-Linnhoff, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins.

Vierter Nominierter war der Pferdeschutzhof "Four Seasons" in Lintel, der seit 2001 Tieren ein Zuhause gebe und mit Kinder- und Jugendprojekten Tierschutz vermittele.

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07 – Gütersloh, Samstag 20. September 2014