
von Marion Pokorra-Brockschmidt
Rheda-Wiedenbrück. Eine Wohnung unterm Dach, mit etwa 60 Quadratmetern für 410 Euro Miete. Das scheint okay zu sein. Ist es aber nicht: Denn auf den Wänden sitzt Schimmel, die Heizung funktionierte im Winter nicht, es gibt nur kaltes Wasser, offene Kabel hängen aus der Decke, die Bodenluke hat keine Klappe. Zusagen auf Besserung hält der Vermieter nicht. "Das macht mich krank", sagt Victor Ojo, der seit Monaten so leben muss, weil er keine andere Unterkunft findet. "Das ist ein unhaltbarer Zustand", meint Gudrun Bauer.
Sie ist seit Anfang Februar unabhängige Ombudsfrau für Integration und geht in diesem Ehrenamt auch Hinweisen auf unakzeptable Unterbringungen nach. Auf die Wohnung in Batenhorst machte sie ein Nachbar aufmerksam. Der hatte den Bauschutt vor dem Mehrfamilienhaus gesehen und wusste, dass dort eigentlich Leute wohnen. Was Bauer in dem Gebäude zu sehen bekam, erschütterte sie. Was sie von Ojo hörte, erzürnte sie.
Seit Februar 2014 ist der gebürtige Nigerianer in Rheda-Wiedenbrück – nach 15 Jahren, die er mit seiner Familie in Spanien lebte. Weil er dort wegen der Wirtschaftskrise keine Arbeit mehr fand, kam er ins Tönnies Fleischwerk. "Das ist harte Arbeit, aber ein ordentlicher Job", sagt der 45-Jährige. Die Wohnung habe er auf dem freien Markt gefunden; sie sei keine Werksunterkunft.
Versprochen habe der Vermieter, die Wohnung im Erdgeschoss zu renovieren und sie dann Ojo und seiner Frau sowie seinem 16-jährigen Sohn, der das Berufskolleg besucht, zu überlassen. Doch als die Bauarbeiten fertig waren, war die Wohnung schnell an eine andere Familie vermietet.
Mehrfach hat Bauer den Vermieter inzwischen angerufen. "Der ist sich aber keiner Schuld bewusst, er meint sogar, dass er ein gutes Werk tut, weil er Victor ein Zuhause bietet", erzählt sie. Zwar habe der Immobilienbesitzer inzwischen eine neue Toilette in der Dachwohnung installieren lassen – eine Tür davor fehlt aber nach wie vor, eine Dusche sowieso.
Bauer hatte die Bauordnung im Rathaus eingeschaltet. Doch könne die nichts tun, weil die Renovierungsmaßnahme ordnungsgemäß angezeigt worden sei. "Wäre das eine Werkvertragswohnung, wäre ich Tönnies schon auf den Tisch gesprungen, dann wäre Familie Ojo längst woanders, das wäre alles viel einfacher", sagt die Ombudsfrau für Integration über ihre Erfahrungen in den ersten Wochen in ihrem neu geschaffenen Amt.
So hatte sie ein Haus an der Herzebrocker Straße mit Mitarbeitern der ebenfalls neu eingerichteten Wohnraumkontrolle des Rathauses – zuständig für Unterkünfte von Asylbewerbern und Werkvertragswohnungen für Tönnies-Mitarbeiter – besucht. Im Gebäude fehlten Rauchmelder und ein Treppengeländer; bodentiefe Fenster waren nicht gesichert, obwohl dort Kinder lebten. "Die Bewohner wurden umgesiedelt, wir gehen nicht davon aus, dass das Haus erneut bezogen wird", informiert Bauer.
In einem Haus an der Gütersloher Straße fehlten eine Rauchschutztür und eine Belüftung in einem Badezimmer. Die Stadt schrieb den Vermieter an und der behob die Mängel umgehend, wie die Rathausmitarbeiter und Bauer bei einer Kontrolle feststellten.
Die Ombudsfrau für Integration hat sich auch dem Anliegen zweier Frauen gewidmet, die sich bei ihr über den rüden und sexistischen Umgangston ihres Vorarbeiters im Fleischwerk Tönnies beschwert hatten. Gemeinsam mit dessen Vorgesetztem zitierte sie den zu einem Gespräch. In dem verlangte sie von dem Mann, seine Ansprache zu ändern und machte ihm deutlich, "dass er sehr wohl in der Lage ist, anders mit Menschen zu reden". Auch Beschwerden über nicht bewilligten Urlaub oder Fehlern in der Zeiterfassung ist Bauer nachgegangen. "Es dauerte maximal einen halben Tag, bis ich alle Unterlagen auf dem Tisch hatte, um die Angelegenheiten zu prüfen", sagt sie.
Mit der Wohnung für Familie Ojo dagegen hat sie inzwischen seit einigen Wochen zu tun. Dort zeichnet sich keine schnelle Lösung ab. Die wäre aber nötig, weil sich die miserable Wohnlage inzwischen auf die Gesundheit von Victor Ojo auswirkt. Er klagt beispielsweise über Husten. Und er ist die Situation leid. "Wir sind sehr müde und brauchen eine andere Wohnung, so können und wollen wir nicht länger leben", sagt er verzweifelt. Bisher war seine Suche nach einer neuen Bleibe aber vergeblich.
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07 – Gütersloh, Samstag 11. April 2015