R h e d a -Wi e d e n – b r ü c k (WB). Wie sah es in Rheda vor 70 Jahren aus, also in den Monaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges? Darüber referierte Jochen Sänger, der ein umfangreiches Archiv zum Thema besitzt, jetzt bei einer Veranstaltung der AWO in der Alten Emstorschule, zu der Vorsitzende Christa Frisch eingeladen hatte.
Die Bahnanlagen in Rheda hatten insgesamt wenig gelitten. An
den Brücken konnten keine Schäden festgestellt werden, auch alle Betriebsstellen konnten genutzt werden. Unter Aufsicht der Amerikaner, die am 1. April 1945 am Ostersonntag erschienen waren, fand wenig später eine Überprüfung statt. Schäden wurden repariert und der Bahnhof funktionstüchtig hergerichtet. Alle durch Fliegerangriffe zerstörten Fahrzeuge wurden von den Gleisanlagen
entfernt. Doch von einem fahrplanmäßigen Zugverkehr war man noch weit entfernt. Trotzdem diente der Rhedaer Bahnhof nach dem 8. Mai 1945 als Zentrum für die Rückführung der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter. »Im Sommer 1945 standen am Bahnsteig Güterwagen, in denen Russen auf den Abtransport warteten. Wir
brachten denen frisches Wasser und erhielten als Dankeschön Lebensmittel «, berichtete ein Zeitzeuge. Der reguläre Bahnverkehr wurde im September 1945 wieder aufgenommen.
Das Hauptquartier der Amerikaner befand sich im Haus Asthoff an der Fürst-Bentheim-Straße 17. Auch weitere Häuser im Umkreis wurden konfisziert. Im Rhedaer Rathaus herrschte erstmal Stille. Doch es gab Arbeit in Hülle und Fülle. Wohnraum war Mangelware, und die Lage verschärfte sich durch den Zuzug von Evakuierten und Flüchtlingen. Und die Notlage, den Hunger, das Elend spürte der überwiegende Teil der Bevölkerung. Es fehlte an allem. So fing man an, die Gemeinschaft Stadt, so weit wie möglich machbar, zaghaft in geordnete Bahnen zu lenken. Zugunsten der Evakuierten und Flüchtlinge kam es schon bald zu ersten Sammlungen in der Stadt, an denen sich unter anderem das Rote Kreuz und SPD-Mitglieder beteiligten.
Die Arbeiterwohlfahrt wurde im Herbst 1945 in Rheda gebildet, zuerst nur aus SPD-Mitgliedern. In dem Aktenbestand der AWO befinden sich Spendenlisten »für die Hausrat- und Kleidersammlung für Flüchtlinge« und»Karteiblätter für Hausrat- und Kleiderspende« des »Hilfsausschusses für Kriegsgeschädigte des Kreises Wiedenbrück«, welche aus dem Zeitraum 1945/46 stammen. Auch auf dem politischen Sektor kam es zu den ersten Zusammenkünften. Die SPDler waren die ersten. Schon kurz nach dem Einrücken der Amerikaner sammelten sich um Meinhard Bruchholder, August Eickholt und Heinrich Heineke die heimischen Sozialdemokraten, um eine Wiedergründung der Ortspartei zu beraten. Bei der Militärregierung wurde die Neugründung des Rhedaer Ortsvereins beantragt.
Die Antragsteller erhielten Anfang August 1945 die Erlaubnis. Am 7. August fand bei Robert Schneider die Neugründung statt. Kurze Zeit später, am 1. September 1945, konnte die erste öffentliche Versammlung im Rhedaer Kino abgehalten werden. Auch die ersten Betriebe erhielten von der Militärregierung in Wiedenbrück in den ersten Sommermonaten die Genehmigung, ihre Betriebe wiedereröffnen zu dürfen. Hierunter befanden sich unter anderem die Sauerkrautfabrik von Kretzschmar, die Fleischwarenfabriken an der damaligen Gartenstraße und das Simonswerk. Nicht ohne Grund befassten sich die Stadtverordneten mit der Brennstoffversorgung. Kohle, Koks und Briketts gab es nicht. Wenn man hatte, wurde der Küchenherd mit Holz oder Torf befeuert. Aber auch diese Brennmaterialien mussten beschafft werden. Die Versorgungslage war insgesamt katastrophal. Es folgte ein harter Winter 1945/46.