150 Jahre SPD in Rheda-Wiedenbrück

Wir feiern Geburtstag. Auf den Tag genau vor 150 Jahren, am 12. Juni 1870, wurde in der damaligen Stadt Rheda der Vorläufer des heutigen SPD-Ortsvereins Rheda-Wiedenbrück gegründet.

Das Organ der damaligen SDAP, „Der Volksstaat“, berichtete am 22. Juni 1870 aus Rheda (Westf.):

„Rheda, 12. Juni. Heute hielt Herr Heitbrinck aus Bielefeld hier eine Versammlung ab. Derselbe erklärte die Prinzipien der sozialdemokratischen Partei, schilderte die Zustände der heutigen Gesellschaft und forderte sämtliche Arbeiter auf, der Partei beizutreten und mitzukämpfen zur Erringung der Menschenrechte für das Proletariat. Häufiger Beifall wurde dem Redner zu Theil und es zeichneten sich trotz der schlechten Verhältnisse 25 Mann in die Parteiliste ein; hoffentlich wird unsere Zahl in kurzer Zeit verdoppelt werden. Mit Gruß W. Bergmann“

 

Eine Traditionsfahne der SPD, wie sie in den Jahren nach 1863 viele gegründete Ortsvereine besaßen.

Diese 25 Männer, unter anderem aus den Reihen der hier damals tätigen Zigarrenarbeiter, gründeten in bis heute leider nicht geklärter Organisationsform und unter dem Namen „Sozialdemokratischer Arbeiterverein“ damit die erste und älteste „Ortsgruppe“ der SPD im Gebiet des heutigen Kreises Gütersloh. Wilhelm Bergmann, welcher den Bericht für den Volksstaat zeichnete, taucht in den noch vorhandenen Unterlagen über die Arbeit der Rhedaer Sozialdemokraten bis 1888 des Öfteren auf. An dem Streik der Rhedaer Zigarrenarbeiter im November 1871 waren Rhedaer Sozialdemokraten beteiligt. Bei den Reichstagswahlen im Januar 1874 kandidierte mit August Bebel einer der wichtigsten Sozialdemokraten der Jahre bis um 1900 im Wahlkreis Bielefeld/Wiedenbrück.

Der Mut derjenigen, die sich 1870 der SDAP anschlossen oder auch in den folgenden Jahren bis 1933 zur SPD stießen, muss bewundert werden, da ihre politische Arbeit ständig von Repressalien begleitet wurde. Vor allem die bismarkschen Sozialistengesetze von 1878 bis 1890 führten vielerorts zur sozialen und materiellen Entrechtung von Sozialdemokraten, auch an ihren Arbeitsplätzen wurden Sozialdemokraten vielerorts von Firmeninhabern und Grundbesitzern verfolgt. In Wiedenbrück erklärte der Fabrikant Otto Radloff aus Elberfeld (Besitzer der Radlof’schen Seilerei in Wiedenbrück) sogar, daß er alles aufbieten würde, um die Sozialdemokratie auszurotten.

 

Grosser Wall 36 und 38 – Keimzellen der Sozialdemokratie in Rheda

Die Rhedaer Altstadt – Arbeits- und Wohnort vieler Zigarrenarbeiter – war eine der Geburtsstätten der Rheda-Wiedenbrücker Sozialdemokratie. Wie Britt Bodderas in ihrer Schrift „Das Ende des Leinewebers-Handwerks“ dokumentierte, wohnten und arbeiteten Wilhelm Bergmann am heutigen Großen Wall 38 und Hermann Kreutzkamp im Nachbarhaus am Großen Wall 36. Das kreuzkampsche Anwesen brannte 1898 durch Brandstiftung nieder, als Nachfolgegebäude entstand der rote Klinkerbau. In diesem Haus lebte später auch Johanne Meyran, Mutter des letzten Rhedaer Bürgermeisters Heinrich Heineke (SPD), welcher in diesem Haus aufwuchs; und Großmutter des späteren langjährigen Rhedaer SPD-Vorsitzenden Jochen Sänger.

Leider sind die Protokollbücher, Mitgliederlisten, Plakate und Fahnen aus dieser Gründungszeit der Rhedaer Sozialdemokratie der nächsten Welle der Verfolgung der SPD und dem Terror im 3. Reich zum Opfer gefallen. 1933 wurden diese Unterlagen auf dem Rhedaer Rathausvorplatz durch örtliche NSDAP-Mitglieder öffentlich verbrannt. Hiervon berichtete August Eickholt, Vorsitzender der Rhedaer SPD ab August 1945, der noch einige der Gründungsmitglieder aus den Jahren nach 1870 persönlich gekannt hatte. Auch fehlen die Aufzeichnungen über die örtlichen Diskussionen vor der Vereinigung der beiden damaligen Arbeiterparteien.

Das erste „amtliche“ Dokument über das Bestehen des SPD-Ortsvereins Rheda findet sich im Stadt-Archiv Rheda-Wiedenbrück. Der Oberstaatsanwalt in Paderborn hatte in einem Rundschreiben vom 31. Mai 1878 an die Staatsanwälte in Bielefeld, Minden und Paderborn diese Herren ersucht, ihm mitzuteilen, welche sozialdemokratischen Vereinigungen in den einzelnen Bezirken bestehen, welche Namen sie führen und welche Agitatoren bekanntgeworden sind.

Wir gedenken all jenen frühen Genossinnen und Genossen, die sich in einer für sozialdemokratische Ideen schwierigen Zeit zusammen fanden, um die Lebensumstände ihrer Mitmenschen zu verbessern, um Gleichheit einzufordern und die zarte Pflanze der Demokratie in Deutschland wachsen zu lassen. Ohne sie und ihre Nachfolger hätte sich unser Land anders entwickelt, als wir es heute kennen.

 

Gerne hätten wir zu diesem Anlass mit unseren Mitbürgern gefeiert. Unsere Geburtstagsfeier mussten wir aber leider ebenso wie die im März geplante Ausstellung „200 Jahre Dr. Otto Lüning – 150 Jahre SPD in Rheda und Wiedenbrück“ im Rathaus absagen. Beides werden wir nachholen, sobald die „Corona-Situation“ eine verlässliche Planung für derartige Veranstaltungen wieder zulässt.

Weiteres zur 150jährigen Geschichte der SPD in Rheda-Wiedenbrück findet sich unter „Die Geschichte der SPD in Rheda-Wiedenbrück“  im Auswahlmenü oben auf dieser Seite.