Auf Reichsebene lehnte die SPD alle Vorbereitungen und Gedanken hinsichtlich eines Krieges ab. August Bebel selbst erhob vor dem Reichstag und den Parteitagen immer wieder seine warnende Stimme gegen das unsinnige Wettrüsten und die Kriegstreiberei. Der SPD-Parteivorstand verabschiedete am 25. Juli 1914 einen Aufruf, der sich gegen einen Krieg richtete. „Gefahr ist im Verzuge. Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Machthabern in den Ohren klingeln: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Krieg! Es lebe die internationale Völkerverbrüderung!“
Im Reichstag entbrannten heftige Diskussionen um die Bewilligung der von der Regierung geforderten Kriegskredite. Auch innerhalb der SPD-Reichstagsfraktion kam es zu Kontroversen der Befürworter und Gegner dieser Kredite, so daß schließlich nur die Fraktionsdisziplin im Reichstag eine Einheit und damit eine Bejahung der Kredite bewirkte. „Worum es den 14 Abgeordneten, darunter auch dem Parteivorsitzenden Hugo Haase, die in er Fraktionssitzung vom 3. August 1914 gegen die Kriegskredite votierten, wirklich ging, war die Einschätzung des Weltenbrandes als eines imperialistischen Raubkrieges sowie die Haltung zur Regierung und zu den bürgerlichen Parteien.“
Die Sozialdemokraten hatten in ihrer Erklärung am 4. August 1914, dem Tag der Kriegserklärung Englands an Deutschland, gesagt: „Wir fordern, daß dem Kriege, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht“.)
Die Einheit der SPD aber war um diese Zeit schon gebrochen. Das zeigte sich an der Haltung der etwa 15 SPD-Abgeordneten im Reichstag bezüglich der Kriegskreditbewilligung. Im Laufe der weiteren Entwicklung bildete sich schließlich aus dem Fraktionsstreit eine Parteispaltung. Am 6./7. April 1917 wurde im Volkshaus in Gotha die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD) gegründet. Organisatorisch gehörte auch der von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründete Spartakusbund der USPD an.
Während die USPD sich 1922 wieder der SPD anschloß, bildete sich schon vorher aus dem Spartakusbund die „Kommunistische Partei Deutschlands“.
Diese Ereignisse spiegelten sich auch in kleinem Rahmen in Rheda wieder. Beide Gruppierungen, USPD und Spartakusbund (später KPD), gründeten in Rheda Ortsgruppen. Während über die USPD nur bekannt ist, daß sie bei den Wahlen Kandidaten aufstellte und einige wenige Stimmen holte, liegen über die Weiterentwicklung der KPD historische Unterlagen vor.
Bei den Reichstagswahlen im Juni 1920 erhielt die USPD noch 709 Stimmen, während die Spartakisten 42 Stimmen für sich verbuchen konnten. Dazu wird in der „Monographie des Kreises WD – Männer von Schele bis Scheele‘ -“ berichtet:
„Die SPD gewann dagegen 200 Stimmen, fast ausschließlich in Gütersloh, Wiedenbrück und Rietberg, während sie in Rheda und anderen Gemeinden verlor.
Überraschend kam das gute Abschneiden der USPD, nicht nur in den Städten, während die noch als Spartakisten operierenden Kommunisten 40 von ihren 42 Stimmen allein in Rheda erhielten.“
Am 20. Juli 1919 wurde „im Herzen des Zentrums, in Wiedenbrück“, „ein Ortsverein ins Leben gerufen, der jetzt ungefähr 50 Mitglieder zählt“, berichtete am 16. Juli 1920 der Parteisekretär Zenker den Teilnehmern der Jahres-Generalversammlung des Unterbezirkes Bielefeld-Wiedenbrück. (6) Nun war es den Wiedenbrückern Sozialdemokraten nach langen Bemühungen endlich gelungen,
einen eigenen Ortsverein zu bilden. In den Stadtvertretungen von Rheda und Wiedenbrück wurde in der damaligen Zeit über die Wohnungsnot und die hohen Mietkosten diskutiert. Die Presse berichtete: „Rheda, 4. Oktober…
Der Magistrat beantragte, 5 Einfamilienhäuser zu bauen. Die sozialdemokratische Fraktion hatte schon im Mai diesen Antrag eingebracht, damals wurde er aber abgelehnt, weil, wie Stadtverordneter Döme erklärte, er von der sozialdemokratischen Fraktion gestellt war. . . . In Rheda würden die Mieten derartig gesteigert, daß wenn alle Mietwucherer an die Laternenpfähle gehängt würden, in Rheda nicht genug Laternenpfähle vorhanden wären.“
Anfang November 1919 diskutierten die Mitglieder der SPD-Ortsvereine Rheda und Wiedenbrück über das Erfurter Programm der SPD unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung „nach einem Jahre Revolution“.Am 9. November 1919 fanden Revolutionsfeiern beider Ortsvereine statt Ende des Jahres 1919 beteiligten sich die SPD-Mitglieder in Rheda wieder an der von den Gewerkschaften organisierten Weihnachtsfeier. „Der Arbeiter-Gesangverein trug recht stimmungsvoll einige Lieder vor, abwechselnd mit Rezitationen und dem Prolog. 635 Kinder konnten mit einer kleineren gefüllten
Tüte beschenkt werden.“
Im Jahre 1920 führten die SPD-Ortsvereine Rheda und Wiedenbrück regelmäßig Versammlungen durch, die in der „Volkswacht“ angekündigt wurden. Die Mitglieder der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Rheda (Westf.) beteiligten sich aktiv an den Diskussionen in den Stadtverordnetenversammlungen und setzten sich für die Interessen der abhängig Beschäftigten ein. Zur Fraktion gehörten die Genossen: Buschmeier, Döme und Herrmann.
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Zu den am 20. Februar 1921 stattfindenden Kreistagswahlen stellte die SPD folgende Mitglieder auf:
Ortsverein Rheda: Joseph Kremer, Ernst Buschmeier, Franz Herrmann, Wilhelm Waterhölter, Wilhelm Meißner, Joseph Oellers, Anton Doeme, Heinrich Rückershäuser, Gustav Lappenbusch, Ernst Hildebrand, Moritz Bentlage,
Ortsverein Wiedenbrück: Heinrich Ralenkötter, Karl Stache.
Für den Provinziallandtag wurden als Kandidaten der SPD aus Rheda Franz Herrmann, Joseph Oellers und Gustav Lappenbusch benannt; aus Wiedenbrück Heinrich Ralenkötter.
Das Landtagswahlergebnis für die SPD ergab am 20. Februar 1921 in Rheda 497 Stimmen und in Wiedenbrück 207. Die KPD erreichte in Rheda 122 und in Wiedenbrück 69 Stimmen.
Aus den Jahren 1921, 1922 und 1923 sind keine außergewöhnlichen Vorgänge überliefert.
Erst im November 1923 überschlugen sich die Ereignisse. Der Chef der Heeresleitung Oberbefehlshaber General v. Seeckt verordnete die Auflösung und das Verbot „sämtlicher Organisationen und Einrichtungen der kommunistischen Parteien Deutschlands“. Auf unmittelbarer Anordnung des Landrates wies der Rhedaer Bürgermeister Evertz den zuständigen Polizeibeamten Grafhorst an, „das Werbebüro dieser Partei, die Mitgliederlisten und die Parteikassen“ zu beschlagnahmen.
Das Verbot der KPD wurde Ende Februar 1924 aufgehoben. Julius Neuhoff beantragte am 4. März 1924 die Aushändigung der beschlagnahmten Unterlagen, welche er wenige Tage später auch zurück erhielt.
Die in den vorgenannten Ereignissen erwähnten Mitglieder der KPD gehörten teilweise noch 1921 dem SPD-Ortsverein in Rheda an. Warum und wann der Wechsel zur KPD erfolgte, ist unbekannt, da über die inhaltlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Rhedaer Sozialdemokratie keine Unterlagen vorliegen.
Aus einem Bericht der Unterbezirksleitung des SPD-Unterbezirks Bielefeld-Wiedenbrück für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 1925 ist zu entnehmen, daß aus dem SPD-Ortsverein Rheda in dieser Zeit zwei Vertreter der Stadtverordnetenversammlung und ein Vertreter dem Magistrat angehörten. Als Kandidat für die Wahlen zum Provinziallandtag wurde aus den Reihen der Rhedaer Sozialdemokraten Erich Mäuseler nominiert. Für den Kreistag kandidierten Franz Herrmann, Jakob Metzger, Erich Mäuseler und Max Schubert. Von den benannten konnten Franz Herrmann und Jakob Metzger in den Kreistag einziehen; Franz Herrmann wurde anschließend in den Kreisausschuß gewählt. Zum 31. Dezember 1925 zählte der SPD-Ortsverein Rheda 56 Mitglieder, davon waren 10 Frauen. Über den SPD-Ortsverein Wiedenbrück liegen keine Angaben vor.
Am 22. Februar 1924 bildete sich auf Initiative sozialdemokratischer Führungskräfte in Magdeburg eine bürgerlich-demokratische Massenorganisation, das „Reichsbanner-Schwarz-Rot-Gold“. Ziel dieser Organisation war es, die Weimarer Republik gegen alle ihre Feinde zu schützen. Etwa 90% der über 1 Million Mitglieder des Reichsbanners gehörten der sozialdemokratischen Partei an. Auch in Rheda wurde eine Ortsgruppe des Reichsbanner ins Leben gerufen, der fast alle Mitglieder der Rhedaer SPD angehörten.
Schriftliche Unterlagen über die Arbeit des Reichsbanners existieren nicht mehr. Sämtliche Akten wurden mit dem SPD-Material 1933 auf dem Rathausvorplatz verbrannt oder von Heinrich Storck, ehemaliges Vorstandsmitglied des SPD-Ortsvereins Rheda, aus Angst vor Verfolgungen durch die Nationalsozialisten vernichtet.
Die „Volkswacht“ berichtete über die Arbeit des Reichsbanners in Rheda. Bis zu 100 Mitglieder zählte das Reichsbanner in Rheda; außerdem bestand eine Jugendgruppe, welche an überörtlichen Veranstaltungen teilnahm. Eine der wichtigsten Aufgaben sah die Ortsgruppe Rheda in der Öffentlichkeitsarbeit. Im Kampfe gegen den Faschismus arbeitete die Ortsgruppe Rheda mit dem Ortsverband der KPD zusammen. Um eine ständige Einsatzbereitschaft zur Verhinderung des Faschismus zu gewährleisten, wurden eigene Tages- und Nachtübungen in Rheda und Umgebung durchgeführt. Vorsitzender der Reichsbanner Ortsgruppe Rheda war zeitweise Heinrich Karree.
Das Reichsbanner stellte in dieser unruhigen Zeit den Saalschutz für die Veranstaltungen des SPD-Ortsvereins. Die NSDAP und die SA rückten aus Bielefeld mit organisierten Störtrupps an. So blieben auch in Rheda Saalschlachten nicht aus. „Dabei gingen Tische und Stühle zu Bruch, und wir kamen anschließend einigermaßen lädiert nach Hause“, berichtete August Eickholt.
Die Faschisten gewannen in Rheda, wie im gesamten Reich, immer mehr an Einfluß und übernahmen schließlich 1933 die Macht.
Schon im Jahre 1926 kam es in Rheda zu Störungen von politischen Versammlungen, hervorgerufen durch „von auswärts mit Gummiknüppeln angereistennationalsozialistischen Störkommandos.“ Es bestand zu dieser Zeit noch keine Ortsgruppe der NSDAP in Rheda und in Wiedenbrück. Diese wurde erst im Februar 1932 gegründet; maßgeblich war der Lagerhalter Anton Sewerin aus Nordrheda an der Bildung dieser Ortsgruppe beteiligt.
Doch zurück zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Rheda und in Wiedenbrück. Zu den Kreistagswahlen am 17. November 1929 kandidierten für die Rhedaer SPD Max Schubert, August Eickholt und Erich Mäuseler; der Wiedenbrücker Ortsverein der SPD hatte keine Kandidaten aufgestellt.
Die Stärke der KPD in Rheda läßt sich dem Wahlvorschlag der Partei für diese Kreistagswahlen entnehmen. Von den sechs genannten Bewerbern stellte die Ortsgruppe Rheda vier Kandidaten, und zwar Julius Neuhoff, Otto Kommessin, Max Wetzel und August Grunwald.
Zwischen den Sozialdemokraten in Rheda und Wiedenbrück bestanden enge Kontakte. Schon vor 1933 wurde die „Maifeier“ am 1. Mai gemeinsam begangen. So z.B. am 1. Mai 1930, wo „morgens ein gemeinschaftlicher Ausflug“ stattfand und abends im Lokale Tischmann in Wiedenbrück zusammen mit den Gewerkschaftskollegen gefeiert wurde.
Auch in Wiedenbrück konnte ein Arbeitersportverein gegründet werden. Schon kurze Zeit nach der Gründung kam es zu einer Sportdebatte in der Stadtverordnetenversammlung, über welche die „Volkswacht“ u.a. berichtete. „Nicht allzu oft soll es vorkommen, daß die politischen Wogen der Zeit sich bis an den sicheren Hort unserer beschaulichen und geruhsamen Stadtvertretung verirren. Abseits vom Strudel unserer sturmbewegten Zeit pflegt hier alles in den geglätteten Bahnen alter Tradition und christlicher Ordnung zu verlaufen. An diesem starken Gefüge einer durch kirchliche und politische Macht gefestigten Zucht und Sitte müssen alle Wogen weltlicher und neuzeitlicher Anschauungen zerschellen. Und doch hat auch in diesem stillen Winkel kleinstädtischen Philistertums eine ernste Schlacht der alten gegen die neue Zeit stattgefunden. Nicht einmal die ,Roten‘ waren es, die diesmal den Kampf heraufbeschworen hatten. Im kurzen Sportdreß, den jungen, elastischen Körper in der hellen Frühlingssonne wiegend, begehrte die neue Zeit Einlaß. Empört standen die Hüter einer geheiligten Tradition auf und riefen Sturm. Die Wände des Stadtverordnetensitzungssaales hallten wider von dem Grimm, der sich in ihren Worten entlud. -2
In der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Rheda fanden zur selben Zeit „langwierige Etatsberatungen“ statt. Die SPD-Fraktion forderte durch ihren Abgeordneten Hermann Wolkenstein eine Erhöhung der Steuerzuschläge, „da die Ausgaben für die Wohlfahrtspflege immer höher werden. Die großen Werke könnten gut ca. 20 Proz. mehr tragen, damit wir für die notwendigen Ausgaben Mittel flüssig hätten.“ Sein Fraktionskollege Weinberg verlangte einen „gerechten Ausgleich zwischen der Gewerbeertragssteuer sowie Gewerbekapitalsteuer und der Grundvermögenssteuer“. Wolkenstein entgegnete: „Gehen wir in einem Umkreis von 100 Kilometer um Rheda, wir finden keine Stadt, die so niedrige Steuerzuschläge hat. Wenn unser Genosse Weinberg glaubt, schon zuviel an Steuern zu zahlen, so glaube ich doch, daß unsere Industrie besser in der Lage ist, als unsere kleinen Handwerker und Grundbesitzer.“
In derselben Stadtverordnetenversammlung plädierte August Eickholt dafür, ein „Familienbad“ in der Ems am Eidhagen zuzulassen. An dieser Stelle befand sich damals die Badeanstalt der Stadt Rheda. August Eickholt hob hervor, daß insbesondere die Werktätigen dieses Familienbad wünschten. „Es ist ein Unding, daß Herren am Zaun stehen und machen aus Langeweile Glossen, während Damen baden und umgekehrt.“ Nach einer längeren Diskussion, in welcher auch vorgetragen wurde, daß die Kirchen – der evangelischen Kirchenvorstand versuchte etwas loyal zu sein – das Familienbad ablehnen, faßte die Stadtverordnetenversammlung den Beschluß, das Familienbad zuzulassen.
Durch Maueranschläge, mit Handzetteln und über Zeitungsanzeigen warb die NSDAP für Veranstaltungen in Rheda und in Wiedenbrück, welche am 8. März 1930 stattfinden sollten und auch stattfanden. Auf den Plakaten und auf den Handzetteln war der Zusatz vermerkt: „Juden haben keinen Zutritt“. Die Kundgebung in Wiedenbrück fand in der Gaststätte Hahues statt. Durch zwei Polizeibeamte ließ der Wiedenbrücker Bürgermeister Heinrich Niehus diese Versammlung überwachen. Die Polizeibeamten hatten den Auftrag, die Versammlung zu schließen, „wenn
1.) die Versammlungsleiter die in den Einladungen angekündigte Ausschließung der Juden von der öffentlichen Versammlung durchfuhren sollten,
2.) wenn zu befürchten ist, daß es aus der Haltung der Redner oder sonstiger Teilnehmer zu Störungen der Ruhe, Ordnung und Sicherheit kommt,
3.) wenn Redner oder sonstige Versammlungsteilnehmer dazu übergehen, die Reichsregierung zu beschimpfen.“ (23)
Nach dem Bericht der Polizeibeamten betrat, „nachdem der Redner etwa 10 Minuten gesprochen hatte, . . . der Kaufmann Ernst Weinberg aus Rheda, der Israelit ist, ohne irgendwelchen besonderen Aufwand, in bescheidener und unauffälliger Weise mit noch mehreren anderen Personen den Saal. Sofort unterbrach der Redner Himisch seinen Vortrag und rief den Eintretenden entgegen: Juden haben hier keinen Zutritt.‘ Sofort protestierten fast sämtliche Versammlungsteilnehmer gegen diesen Einwand des Redners. Der Redner ersuchte den unterzeichneten Polizei-Oberwachtmeister Gawenda, die Juden aus dem Saale zu weisen mit der Drohung, daß er andernfalls selbst von seinem Hausrecht Gebrauch machen würde. Der unterzeichnete Polizei-Oberwachtmeister Gawenda erklärte dem Redner sofort öffentlich, es sei zu einer öffentlichen Versammlung einberufen worden und somit habe auch Jedermann das Recht, teilzunehmen
Der Bericht des Rhedaer Bürgermeister Walter Evertz über die Parallelveranstaltung in Rheda beinhaltete auch die Aktivitäten im Vorfeld. „Am Samstagvormittag“ – so der Rhedaer Bürgermeister – „wurde ich vom hiesigen Reichsbanner telefonisch angerufen und gefragt, ob es zulässig wäre, daß eine öffentliche Versammlung unter Ausschluß der Juden veranstaltet würde, da das Reichsbanner die Absicht habe, in seiner Gesamtheit an der Versammlung teilzunehmen und außerdem plane, einen israelitischen Redner auftreten zu lassen, der vor allen Dingen die Aufgabe habe, Richtigstellungen der Ausführungen der Nationalsozialisten vorzunehmen. Dem Reichsbanner-Mitglied eröffnete ich, daß wenn zu einer öffentlichen Versammlung eingeladen werde, jeder Einwohner, gleichviel welcher Partei oder Konfession er angehöre, teilzunehmen berechtigt sei. Vor etwa 4 Jahren hatte man von nationalsozialistischer Seite eine ähnliche Veranstaltung geplant, die ebenfalls unter Ausschluß der Juden stattfinden sollte.“Da den Juden auch in Rheda der Zutritt verwehrt wurde, erfolgte die Auflösung der Versammlung.
Der nationalsozialistische Abgeordnete Kube stellte wegen der Schließung beider Veranstaltungen eine „kleine Anfrage“ im preußischen Landtag. „Ob, besonders im Falle Rheda, die Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten gegen die Versammlung gegeben war, erscheint mir nach den bisherigen Unterlagen nicht unzweifelhaft. Jedenfalls vermag ich keinen begründeten Anhalt dafür zu ersehen, daß ein wirksames Einschreiten gegen die Störer eine unverhältnismäßige größere Erschütterung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit mit sich gebracht hätte, als die Auflösung der Versammlung“; soweit das Innenministerium.
Die Störer waren die Juden. Das entsprach auch der Rechtsauffassung des Wiedenbrücker Landrates.
Die „Volkswacht“ berichtete am 31. Januar 1931 über eine „imposante Kundgebung des Reichsbanners“ in Gütersloh. An dieser Kundgebung nahmen auch die Ortsgruppen Rheda und Wiedenbrück „mit ihren Fahnen“ teil. Auch in dieser Veranstaltung wurde dargestellt, daß „die Nazi-Presse offen den Krieg“ propagiere. Eine weitere eindrucksvolle Demonstration fand am 22. Februar
1931 abermals in Gütersloh statt. „Über 200 Kameraden zeigten den Gegnern der Weimarer Verfassung, daß sie nicht gewillt sind, eine Diktatur, von wo sie auch kommen möge, anzuerkennen.“
Am 25. März 1931 berichtete der „Westfälische Beobachter“ aus Rheda: „Stützpunkt Rheda.
Der Jude Weinberg versucht die Verfassung zu brechen und ermutigt durch seine Maßnahmen etwa 30 Hörsingbanditen“ (= Reichsbannermitglieder im Sprachgebrauch der NSDAP) „zu einem Überfalle! Sonnabend, den 14.ds. Mts. fand in Rheda eine glänzend verlaufene Versammlung im Saale Neuhaus statt.
Der Terror des Juden Weinberg, des Reichsbanners und der Kommunisten während unserer letzten Versammlungen war fruchtlos gewesen. So zogen es die roten Herrschaften aus Furcht vor der freien Aussprache vor, uns mit ihrem lauten Besuch zu verschonen. . . . Um nun die enttäuschten und betrogenen Arbeitermassen von dem Besuch der aufklärenden, gefürchteten Nazi-Versammlung abzuhalten, veranlaßte der Jude Weinberg sein Reichsbanner, in einem etwa 100 Meter entfernt liegenden Nachbarsaale eine Gegenversammlung abzuhalten.
Mit der Absicht, Dumme zu fangen, wurde ein Schild herumgetragen mit der unserer Propaganda nachgeahmten Aufschrift „Adolf Hitler nicht vor den Toren von Berlin“. Die Versammlung findet nicht bei Neuhaus, sondern bei. . . statt. Ein gleichartiges Schild stellten die Hörsingbanditen, etwa 30 an der Zahl, vor die Türe unseres Versammlungslokales Neuhaus und versuchten dann gewaltsam in unser Versammlungshaus einzudringen. Bei der Abwehr dieser an Land- und Hausfriedensbruch grenzenden Gewalttat hatte unsere Bielefelder SA 3 mehr oder weniger Verletzte zu beklagen.“
Auch der Reichsbanner in Rheda und in Wiedenbrück widmete sich verstärkt den nicht nur politischen Auseinandersetzungen mit der NSDAP. Trotzdem vergaßen aber die Organisationen der Arbeiterbewegung nicht das kulturelle und gesellschaftliche Umfeld.
Die Maifeier im Jahre 1931 führten die SPD-Ortsvereine Rheda und Wiedenbrück in der Gaststätte Wolkenstein durch. Ferner wirkte eine Spielgruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend Groß-Bielefeld mit. Die „Volkswacht“ berichtet hierüber in ihrer Ausgabe vom 2. Mai 1931:
“Rheda, 1. Mai. Maieinholen. Ein glücklicher Gedanke der hiesigen Parteileitung war es, den schönen Brauch des Maieinholens auch in Rheda einzuführen. Der Fackelzug gestaltete sich zu einer äußerst imposanten Kundgebung, nahmen doch weit über 100 Jugendgenossen, Gewerkschaftskollegen und Parteigenossen daran teil.“
Am 13. Mai 1931 beantragte „der Kaufmann Schnurmann in Wiedenbrück“ im Landratsamt eine „Bescheinigung zu einer Versammlung von Abordnungen der Ortsgruppen des Reichsbanners des Kreises … zum Zwecke einer Unterweisung über sportliche Betätigung mit anschließenden Marsch nach Gütersloh, wo sich der Zug vor der Stadt auflösen soll.“ Diese Veranstaltung des Reichsbanners fand am 14. Mai 1931 statt.
Der erwerbslose Karl Goldkuhle beantragte am 8. Juni 1931 im Wiedenbrücker Rathaus eine Genehmigung für eine Flugblattverteilung. Die Genehmigung wurde versagt, da nach Auffassung des Bürgermeisters das Flugblatt mit dem Titel:
Arbeitsbeschaffungsplan der KPD“ mindestens für die Verhältnisse meines Bezirkes geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden.“
Weiter ordnete der Wiedenbrücker Bürgermeister an, „die hier vorhandenen Plakate sofort zu beschlagnahmen.
Im August 1931 fand das Kreistreffen des Reichsbanners in der Stadt Wiedenbrück statt. Hierüber berichtete die „Volkswacht“ am 24. August 1931: „Am Kreistreffen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold in Wiedenbrück beteiligten sich etwa 300 uniformierte Reichsbannerkameraden. Nach der Aufstellung auf dem Kirchplatz und dem Durchzug durch die Straßen der Stadt hielt Pfarrer Schwartze, Schötmar, eine kurze, aber wirkungsvolle Ansprache an das Reichsbanner und die äußerst zahlreichen übrigen Anwesenden . . . Anschließend fand man sich zum geselligen Beisammensein im Vereinslokal „Hotel Fröhlich“ ein. Den Bürgern der Stadt Wiedenbrück gebührt Dank für ihre rege Teilnahme sowie das vorbildliche Beflaggen und Ausschmücken ihrer Häuser.“
Auch in Rheda fand im September eine gut besuchte Veranstaltung des Reichsbanners statt. „Unter starker Anteilnahme der Bevölkerung und der Kameraden des Reichsbanners wurde Sonntag die republikanische Kundgebung in Rheda durchgeführt. Etwa 250 Reichsbannerleute marschierten in wohlgeordnetem Zuge durch die Straßen unserer Stadt zum Rathaus.
Anfang November 1931 veranstaltete die Reichsbanner-Ortsgruppe Wiedenbrück eine öffentliche Versammlung, an welcher auch Nationalsozialisten und Kommunisten teilnahmen. „Die Nazis konnten es nicht unterlassen, zu versuchen, durch wenig kluge Zwischenrufe die Versammlung zu stören, wurden aber jedesmal mit beißender Ironie zurechtgewiesen. Bei der anschließenden
Diskussion meldeten sich zwei Redner, Hiller – Brackwede (KPD) und Hiemisch – Bielefeld (Nazi). Der erste blieb in seinem Rahmen, so daß alles ruhig verlief.
Der Naziredner dagegen fiel gleich von Anfang an aus der Rolle, erging sich in den ärgsten Beschimpfungen, worauf ihm dann gleich das Wort wieder entzogen wurde. Wie nicht anders zu erwarten, verließen die Nazis den Saal. Zu weiteren ernsten Störungen kam es nicht.“
Rheda, 7. Dez. 1931 Herausforderung. Am Donnerstag abend fand hier eine Versammlung der Nazis statt, zu der sie sich zirka 50 Leute Saalschutz von auswärts herangeholt hatten. Diese gingen oder fuhren mit ihren Fahrrädern in geschlossenen Formationen zum Versammlungslokal. Die anwesenden Polizei- und Landjägerbeamten machten aber gar keine Anstalten, diese Formationen, die zum Teil auch uniformiert waren, aufzulösen. Es sieht beinahe so aus, als ob die Verordnungen des preußischen Innenministeriums in Rheda bzw. für die Rhedaer Polizeibeamten nicht gelten. Jedenfalls betrachtet die Rhedaer Arbeiterschaft die ganze Sache als eine unerhörte Herausforderung.“
Interessant sind die Bemerkungen des Rhedaer Bürgermeisters. „Gewiße hiesige Arbeiterkreise können es anscheinend nicht verstehen, daß auch politisch Andersdenkende Anspruch auf polizeilichen Schutz haben. Am Morgen des Versammlungstages wurde ich von den hiesigen Führer der N.S.D.A.P. gebeten, mit Rücksicht auf die Tätlichkeiten gegenüber N.S.A.-Leuten gelegentlich einer früheren Versammlung für genügenden Polizeischutz, auch vor dem Neuhauschen Saale bezw. Lokale Sorge zu tragen. Dem Wunsche ist selbstverständlich aus Gründen der öffentlichen Ruhe und Ordnung von mir entsprochen. Weil die nun eingangs erwähnten Arbeiterkreise, unter denen sich sicherlich auch manche Kommunisten befanden, durch die Wachsamkeit der Sicherheitsbeamten ihr
Mütchen nicht kühlen konnten, versuchen sie nun den Beamten eins anzuhängen, wie man zu sagen pflegt.“
In Berlin hatte sich am 16. Dezember 1931 die „Eiserne Front“ zur Überwindung der faschistischen Gefahr gebildet. Die „Eiserne Front“ setzte sich hauptsächlich aus der SPD, dem Reichsbanner, den freien Gewerkschaften und weiterer Organisationen der Arbeiterbewegung zusammen. Auch in Rheda und in Wiedenbrück fanden sich die Angehörigen der vorgenannten Organisationen zur „Eisernen Front“ zusammen. Hierüber berichtete die „Volkswacht“ unter anderem:
„Der erste Aufmarsch der Eisernen Front in Rheda gestaltete sich zu einer wirkungsvollen Kundgebung. Als Einleitung sang der Arbeiter-Gesangverein das Lied Weltfrieden“. Der Referent, Landespräsident Heinrich Drake, führte aus: „Der Faschismus habe in dieser traurigen Zeit leichtes Spiel. Aber ihm gegenüber stehe jetzt die Eiserne Front; jeder müsse sich an seine Pflicht erinnern, die Eiserne Front zu stärken. Sie will ein Wall sein gegen Militarismus und Weltaufrüstung.“ Zum Abschluß ergriff der Vorsitzende des Reichsbanner Heinrich Karreh das Wort und „forderte alle Anwesenden auf, der Eisernen Front beizutreten, damit dem Naziklüngel auch in Rheda das Licht ausgeblasen werden könne.“
Mitte März 1932 verhinderten Reichsbannermitglieder eine Klebeaktion der Nationalsozialisten. Hierüber berichtete die „Volkswacht“ in ihrer Ausgabe vom19. März 1932 ausführlich:
„Über die Aufgaben der Wiedenbrücker Wach- und Schließgesellschaft, über die es eigentlich keinen Zweifel geben sollte, hat der Herr Wittkopp, ein Beamter der Gesellschaft, anscheinend seine Privatansicht. Als er Sonntagmorgen um 4 Uhr die Laternen ausmachte, begegnete ihm ein Trupp junger Leute, die er für Nazis hielt und fragte, ob die Klebefahrt schon losginge, die einzelnen Führer habe er schon geweckt, dabei nannte er die Namen der Wiedenbrücker Naziführer. Wenn Sie nicht kommen, werde ich noch einmal hinfahren‘. Dem folgte auch sofort die Tat. Die jungen Leute waren aber keine Nazis, sondern Reichsbannerkammeraden, die die frohe Botschaft nun weidlich ausnutzten und die Klebefahrt der Nazis verhinderten. Nicht lange dauerte es, als etwa 12 Nazis vorbeikamen; zu ihrem Schrecken gewahrten sie eine ungefähr gleich große Zahl Reichsbannerleute, die nicht aussahen, als ob sie mit sich spaßen ließen. Mit den Worten: Tut uns nichts, wir tun euch auch nichts, ‚ zogen sie vorüber und auf Umwegen wieder nach Hause. Die Klebefahrt war verhindert.“
Eine Demonstration, wie sich die Nationalsozialisten aufführten, erlebten die Wiedenbrücker Bürger im August 1932. Hierüber berichtete die „Volkswacht“ am 20. August 1932: „Nazi-Provokation in Wiedenbrück Sie machen Patrouillengänge durch die Straßen und schießen.
In nicht gelinde Aufregung wurde am Donnerstag die Stadt Wiedenbrück versetzt, als in den Abendstunden ein Trupp uniformierter Nazis in einem Lastauto durch Wiedenbrück fuhr und an einigen Stellen auch Schüsse abgab. Anschließend unternahmen die Nazis auch Patrouillengänge durch die Straßen der Stadt und provozierten die Anwohner durch ,Heil-Hitler‘ – Rufe. Dank der Besonnenheit der Bürger wurden Zwischenfälle vermieden. In den Nachtstunden machte sich ein Trupp Kommunisten auf; zu Zusammenstößen kam es jedoch nicht. Daß die Aktion der Nazis vorbereitet war, wird durch den Ausspruch eines Naziführers erklärt, der zu einem Sozialdemokraten sagte: In den nächsten Tagen werden welche von euch dran glauben müssen‘. Die Wiedenbrücker Bevölkerung erwartet von den Behörden schärfstes Einschreiten gegen die nationalsozialistischen Ruhestörer und Provokateure. Sie wird aber auch auf dem Posten sein und den nationalsozialistischen Terror abzuwehren wissen, wenn keine behördliche Hilfe zur Stelle ist.“
In den Verwaltungsakten finden sich keine Hinweise über diese Aktion der NSDAP in Wiedenbrück.